Der Glaube an überirdische Schutzwesen verbindet die Menschen aller Religionen und Kulturen. Buddhisten und Muslime, Juden und Christen vertrauen auf den Beistand der geflügelten Himmelsboten. Gibt es Schutzengel also wirklich?
Es gibt unzählige Vorstellungen von Göttern und Göttinnen, von überirdischen Wesen und vom Paradies – und ebenso viele Theorien darüber, wer oder was ein Schutzengel ist. Diese Vielfalt der Interpretationen ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Menschen von verschiedenen Religionen und Kulturen geprägt sind und daher völlig unterschiedliche Gedanken und Ansichten haben. Die meisten Weltreligionen weisen den Glauben an Himmelsboten auf, welche die Menschen vor Unheil beschützen. Ob Thora, Bibel oder Koran: Überall treten die helfenden Schutzwesen auf.
Um an Schutzengel zu glauben, muss man jedoch keiner speziellen Religion angehören, denn die Retter in der Not spielen seit Menschengedenken nicht nur im Glauben eine beachtliche Rolle, sondern auch in der Philosophie und in den alten Schriften. Sogar in der Steinzeit sollen die Menschen bereits eine Vorstellung von geisterhaften Erscheinungen gehabt haben, die ihnen tröstend und helfend beistanden.
Jedem Volk seine Engel
In Mesopotamien wurden geflügelte Wesen als Vermittler zwischen Göttern und Menschen verehrt. Genau genommen handelte es sich um mit Flügeln bestückte Gottheiten, die als Schutzgeister galten. Auch aus dem alten Ägypten sind Darstellungen von himmlischen Wesen bekannt, die meist weiblich waren und deren Flügel sich nicht am Rücken, sondern an den Armen befanden.
In der griechischen Mythologie gab es die Gestalt des „Daimon“, dessen Name sich von „daimonion“ ableitet, was so viel wie Schicksal bedeutet. Jeder Mensch hatte seinen persönlichen Daimon, der ihn sein ganzes Leben lang begleitete und beschützte. Übrigens hat man den Begriff später ins Negative verkehrt und er wurde zum heutigen Dämon.
Die alten Römer glaubten ebenfalls an Schutzgeister, die so genannten Laren oder Penaten. Sie waren für den Schutz der Familien zuständig, aber auch für bestimmte Häuser oder ganze Ortschaften. Darüber hinaus besaß jeder Mann seinen ganz intimen Schutzgeist, den „Genius“, der den römischen Damen allerdings nicht zur Seite stand – diese wurden von „Lucina“ behütet.
Helfer und Beobachter
Im Islam sind Engel Boten, die dem Propheten Mohammed die Offenbarungen Allahs übermitteln. Sie haben aber auch die Funktion der so genannten „zwei Schreiberengeln“, die jeweils hinter der rechten und linken Schulter eines jeden Menschen stehen und ihn beobachten, um seine guten und bösen Taten aufzuschreiben. Darüber hinaus bewahren sie ihn aber auch vor Unglück und größeren Schäden.
Ebenso kennt der Buddhismus Schutzgeister, die „Bodhisattvas“, welche im Tushita-Himmel leben und auf die Ankunft des nächsten Buddha warten. Ihre Aufgabe ist es, dem Suchenden helfend beizustehen. Ähnliche Ideen finden sich auch im Alten Testament und somit im Judentum. Die Erscheinung von Engeln spielt bereits in der frühen Geschichte des Volkes Israel eine große Rolle. Hier sind die Engel übernatürliche Wesen, die sich gelegentlich auserwählten Menschen zu erkennen geben.
Ob Thora, Bibel oder Koran: Überall kommen die helfenden Schutzwesen vor.
Die nordischen Menschen vertrauten früher den „Fylgien“, Schutzgeistern, die schon bei der Geburt ihres Schützlings anwesend waren und ihm überall hin folgten. Da sie wachende Begleiter waren, kann man sie mit den Schutzengeln der christlichen Vorstellung vergleichen.
Die Mächtigen des Christentums
Im Christentum spielt der Schutzengel eine wichtige Rolle. Man glaubt an ein Engelwesen, das jedem Menschen zu seinem persönlichen Schutz zur Seite steht, um in Zeiten der Not helfend einzugreifen. Die Vorstellung von „guten Engeln“ oder „hilfreichen Engel“ findet sich zwar schon im Neuen Testament, ihre Verehrung begann aber erst im Mittelalter mit der Anbetung des Erzengels Michael, der als Schutzengel der Kranken, der Händler, der Seeleute und der Soldaten galt. Seitdem gibt es in der katholischen Kirche den Schutzengeln zu Ehren sogar einen eigenen Festtag: Der 2. Oktober ist Schutzengeltag!
Über ihr Aussehen gibt es jedoch die widersprüchlichsten Aussagen. Von schön bis schrecklich, von riesengroß und übermächtig bis klein und pummelig reichen die Beschreibungen. Im christlichen Abendland findet man überall Darstellungen von Schutzengeln. Sie sind in Kirchen, auf Friedhöfen und in Kunstgalerien anzutreffen. Mal sind sie in Stein gehauen, mal in Reliefs oder in Öl verewigt.
Meist zeigen sie sich als geschlechtslose Wesen mit Flügeln und Heiligenschein, doch haben sie sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. In Darstellungen des Mittelalters blicken sie mit gotisch starren Schwingen Furcht einflößend auf uns herab. Im Barock dagegen erscheinen sie als pausbäckige Kinderengelchen, denen man schwer glauben kann, dass sie in der Lage sind, irgendjemanden zu beschützen.
Zornige Engel
Wir sollten uns jedoch nicht von den kleinen Putten täuschen lassen, die man am liebsten in Windel packen möchte. In der katholischen Kirche sind die Schutzengel zunächst einmal überaus mächtig. Wenn Engel in der Schrift auftauchen, sind ihre ersten Worte: „Fürchtet euch nicht!“ Sie sind also Ehrfurcht gebietend und machtvoll.
In der Bibel werden den helfenden Engeln auch dämonische Kräfte zugeschrieben: In dem Sieg des Erzengels Michael über Luzifer kommt die gewaltige Kraft der göttlichen Boten zum Ausdruck. Im Buch Genesis heißt es, dass die Cherubim, obwohl sie die Schutzengel des Lichts und der Sonne sind, mit Flammenschwertern das Tor zum Paradies bewachen, um Adam und Eva nach dem Sündenfall die Rückkehr zu verwehren.
Retter in der Not
So unterschiedlich die Vorstellungen von Schutzengeln und -geistern auch sein mögen, in gewisser Hinsicht ist ihnen auch vieles gemeinsam: Es handelt sich immer um eigenständige Geschöpfe, die im Himmel leben und mit der göttlichen Gnade des Universums in Verbindung stehen. Daher besitzen sie auch Kräfte, die weit über die des Menschen hinausgehen.
Es sind unsichtbare Wesen, die uns durch das ganze Leben begleiten und die spirituelle Entwicklung der Menschen überwachen. Sie ersparen uns zwar nicht immer schlechte Erfahrungen, die wir ja für unsere Weiterentwicklung brauchen, aber sie sind stets bei uns und stehen uns bei, wenn wir in Not oder Gefahr geraten und nicht mehr weiter wissen. Allerdings dürfen sie nur eingreifen, wenn der kosmische oder göttliche Plan es erlaubt.
So ist es durchaus möglich, dass sie so manchen Unfall geschehen lassen und schweres Unglück nicht verhindern, um dem Menschen eine Prüfung aufzuerlegen, die ihn zur inneren Reife und zum seelischen Wachstum befähigt. Die Schutzengel sind damit also auch für unseren Reifungsprozess zuständig.
Elemente des Volksglaubens
Viele Menschen glauben fest daran, dass die fliegenden Bodyguards tatsächlich existieren. Immerhin hat die Vorstellung, dass es Wesen gibt, die über unser Leben ihre schützende Hand halten, etwas sehr Tröstliches.
In unseren Breiten ist besonders in der Volksfrömmigkeit der Glaube an den Schutzengel weit verbreitet. Dafür sprechen auch die diversen Engelmotive auf den Gebrauchsgegenständen: Aufkleber, Servietten, Teller, Tassen – nichts bleibt verschont.
Ein häufiger Ausspruch: „Auf meinen Schutzengel kann ich mich verlassen!“
Die geflügelten Aufpasser kommen auch häufig in Redewendungen vor. Wenn jemand knapp einer Katastrophe entgangen ist, hört man sehr oft den Ausspruch „er hatte einen Schutzengel“ und in gefährlichen Momenten beruhigt sich so mancher mit dem Satz: „Auf meinen Schutzengel kann ich mich verlassen!“
Die Renaissance der Schutzengel
Für gewöhnlich können wir unsere Schutzengel zwar nicht als physische Wesen erkennen, aber es gibt zahlreiche Aussagen von Menschen, die behaupten, mit ihrem Schutzengel in Kontakt gekommen zu sein, ihn gespürt, gehört oder gar gesehen zu haben. Es wird erzählt, dass er manchmal als blendend helles Licht in Erscheinung tritt, dessen Leuchtkraft so extrem ist, dass man die Augen schließen muss. Manche Leute glauben sogar zu wissen, dass ihr Schutzengel immer bei ihnen ist, weil sie in entscheidenden Situationen spüren, wie eine Hand zart ihre Schulter berührt, oder sie plötzlich das Gefühl haben, ein starkes und dennoch beruhigendes Wesen sei anwesend.
In jüngster Zeit wird viel über Schutzengel geschrieben und berichtet. Das mag einerseits ein Indiz dafür sein, dass sich die Menschen wieder vermehrt dem Spirituellen öffnen. Gleichwohl könnte es ein Zeichen dafür sein, dass immer mehr Menschen auf Hilfe von oben hoffen, weil sie sich allein nicht mehr zurechtfinden …